Patañjalis 8-gliedriger Pfad: Ein Wegweiser zur inneren Harmonie

Einer der am häufigsten genannten Namen, wenn es um Yogaphilosophie geht, ist Patañjali. Ich habe erst während meiner ersten Yogalehrerausbildung über diesen Philosophen erfahren, was eigendlich schade ist. Denn ich finde, sein Werk bildet die Grundlage für viele Aspekte des Yoga, auch wenn man keine Yogalehrerin ist. Mir persönlich hat sein Werk sehr geholfen um zu verstehen, was die Wurzeln des heutigen modernen Yoga wirklich sind.

Patañjali schrieb viele seiner Beobachtungen über die menschliche Natur und gesellschaftliche Normen seiner Zeit nieder. Dies tat er in Form von Aphorismen, die sich mit allen Bereichen des menschlichen Lebens befassen. Diese Aphorismen umfassen die Lehrsätze des Yoga, die als «Ashtanga», die «acht Glieder» oder «Stufen» bekannt sind und als aufeinanderfolgende Stufen der Yoga-Erfahrung eines Menschen anzusehen sind.

Der achtgliedrige Pfad des Yoga, ist ein zentrales Konzept in der Yogaphilosophie. Dieser Pfad bietet einen ganzheitlichen Ansatz zur persönlichen Entwicklung und spirituellen Entfaltung, der weit über die körperlichen Übungen auf der Matte hinaus gehen.

Die acht Glieder im Überblick

  1. Yama – Ethische Richtlinien für den Umgang mit der Umwelt & anderen Lebewesen
  2. Niyama – Selbstdisziplin & innere Bewusstheit
  3. Asana – Körperhaltungen
  4. Pranayama – Atemkontrolle
  5. Pratyahara – Zurückziehen der Sinne
  6. Dharana – Konzentration
  7. Dhyana – Meditation
  8. Samadhi – Erleuchtung, höchster Bewusstseinszustand

Yama und Niyama: Die ethische Grundlage

Die ersten beiden Stufen, Yama und Niyama, bilden das ethische Fundament des Yoga. Sie lehren uns, wie wir harmonisch mit uns selbst und unserer Umwelt umgehen können.

Yama umfasst fünf ethische Richtlinien für den Umgang mit der Umwelt und anderen Lebewesen:

  • Ahimsa (Gewaltlosigkeit)
  • Satya (Wahrhaftigkeit)
  • Asteya (Nicht-Stehlen)
  • Brahmacharya (Mässigung)
  • Aparigraha (Nicht-Anhaften)

Niyama bezieht sich auf den Umgang mit sich selbst und beinhaltet ebenfalls fünf Aspekte:

  • Saucha (Reinheit)
  • Santosha (Zufriedenheit)
  • Tapas (Selbstdisziplin)
  • Svadhyaya (Selbstreflexion)
  • Ishvara Pranidhana (Vertrauen und Hingabe an das Göttliche)

Asana und Pranayama: Körper und Atem

Die dritte und vierte Stufe fokussieren sich auf die physische Praxis des Yoga:

Asana bezieht sich auf die Körperhaltungen, die wir in der Yogapraxis einnehmen. Diese Übungen dienen nicht nur der körperlichen Gesundheit, sondern bereiten auch den Körper auf tiefere Meditationspraktiken vor.

Pranayama, die Atemkontrolle, lehrt uns, unseren Atem bewusst zu lenken. Dies fördert nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern hilft auch dabei, den Geist zu beruhigen und zu fokussieren.

Die innere Reise: Pratyahara, Dharana und Dhyana

Die nächsten drei Stufen führen uns tiefer nach innen:

Pratyahara ist das Zurückziehen der Sinne von äusseren Reizen. Es lehrt uns, unsere Aufmerksamkeit nach innen zu richten.

Dharana bedeutet Konzentration. Hier lernen wir, unseren Geist auf ein einzelnes Objekt zu fokussieren.

Dhyana, die Meditation, ist der Zustand anhaltender Konzentration, in dem der Meditierende und das Objekt der Meditation zu verschmelzen beginnen.

Samadhi: Das ultimative Ziel

Die achte und letzte Stufe, Samadhi, wird als Zustand beschrieben, der durch intensive Praxis und Hingabe erreicht werden kann und in dem der Praktizierende sein wahres Selbst erkennt und eine tiefe Verbindung mit dem Göttlichen oder dem Universum erfährt.

Übrigens: Du kennst doch bestimmt die Lotus-Blume, eines der beliebten Yogasymbolen. Sie wird oft mit acht Blättern dargestellt, da diese die 8 Aspekte des 8-gliedrigen Yogapfades symbolisieren.

Fazit

Der achtgliedrige Pfad des Yoga ist kein linearer Prozess, sondern ein ganzheitlicher Ansatz zur Lebensführung. Jede Stufe bietet wertvolle Einsichten und Praktiken, die uns helfen können, ein erfüllteres und bewussteres Leben zu führen. Ob wir nun Anfänger oder erfahrene Yogis sind, der achtgliedrige Pfad bietet jedem von uns die Möglichkeit, Schritt für Schritt zu wachsen und sich weiterzuentwickeln.

Indem wir uns mit diesen acht Aspekten des Yoga auseinandersetzen, können wir nicht nur unsere Yogapraxis vertiefen, sondern auch mehr Klarheit, Frieden und Harmonie in unser tägliches Leben bringen. Und: der achtgliedrige Pfad erinnert uns daran, dass Yoga weit mehr ist als körperliche Übungen – es ist ein Weg zur ganzheitlichen Transformation von Körper, Geist und Seele.

Siehe auch Blog Beitrag «Was genau ist eigentlich Yoga?«.

Buchempfehlung

Falls du tiefer in dieses Thema eintauchen möchtest, dann empfehle ich «Yogasutra für Einsteiger» von Mira Blumenberg.


Kurz zur «Person» Patañjali

Die Gestalt des Patañjali ist von Mythos und Legende umwoben, was eine präzise historische Einordnung erschwert. Wissenschaftler vermuten seine Lebenszeit zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert n. Chr. Eine faszinierende Legende erzählt von seiner Geburt als Sohn der Asketin Gonika, die sich sehnlichst einen Schüler wünschte. Der Sonnengott Surya soll ihr Gebet erhört und eine Schlange gesandt haben, die sich in einen Jungen verwandelte – Patañjali. Diese mythische Herkunft spiegelt sich in bildlichen Darstellungen wider, die Patañjali oft mit dem Unterkörper einer Schlange zeigen. Eine alternative Überlieferung sieht in Patañjali den Sohn des berühmten Sanskrit-Grammatikers Panini. Der renommierte Yogameister B.K.S. Iyengar versuchte, die verschiedenen Legenden zu vereinen und schrieb Patañjali die Autorschaft dreier bedeutender Werke zu: einer Grammatik, einer Abhandlung über Ayurveda und der Yoga-Sutras. Die Ähnlichkeiten zwischen Patañjalis Lehren und buddhistischen Konzepten werfen Fragen über mögliche gegenseitige Einflüsse auf. Diese Parallelen tragen dazu bei, dass Yoga heute oft als Synthese buddhistischer und hinduistischer Traditionen betrachtet wird. Es ist jedoch auch möglich, dass «Patañjali» weniger eine historische Person als vielmehr ein Sammelbegriff für eine Tradition mündlich überlieferter Weisheiten und die Werke mehrerer Autoren darstellt. Diese Sichtweise würde die Vielfalt und den Reichtum der ihm zugeschriebenen Werke erklären.